
Bericht des Expertenrats Deutschland ist auf Klimakurs - vorerst
Der akute Druck auf die Bundesregierung in Bezug auf die Klimaziele ist genommen: Der zuständige Expertenrat sieht Deutschland bei den Emissionen bis 2030 auf Kurs. Für die Zeit danach drängt er aber zum Handeln.
Daumen rauf oder Daumen runter - als der Expertenrat für Klimafragen am Vormittag in Berlin vor die Presse tritt, fällt das Urteil dann doch überraschend positiv aus. Das offizielle Prüfgremium für die Fortschritte beim Klimaschutz stellt "keine Überschreitung des Emissionsbudgets bis 2030" fest. Die zulässige Menge werde wohl gerade so eingehalten. Also Daumen rauf - wenn auch nur im übertragenen Sinn.
Überraschend ist die Einschätzung deshalb, weil der Expertenrat noch vor einem Jahr Deutschland nicht auf dem im Klimaschutzgesetz vorgegebenen Zielpfad sah. Wenn das Gremium heute zum gleichen Ergebnis gekommen wäre, hätte die neue Bundesregierung kurz nach ihrem Amtsantritt ein akutes Klimaproblem gehabt. Laut Klimaschutzgesetz wäre Schwarz-Rot dann nämlich in der Pflicht gewesen, ein Maßnahmenprogramm vorzulegen, um den Treibhausgasausstoß schneller zu reduzieren als bisher. Das bleibt Schwarz-Rot nun erspart.
Gesamtbudget wird wohl eingehalten
Worauf basiert nun die positive Einschätzung? Laut Klimaschutzgesetz gibt es jährliche Vorgaben, wie viel Treibhausgase in Deutschland pro Jahr freigesetzt werden dürfen. Dieser Ausstoß soll Jahr für Jahr sinken. Das ergibt ein Gesamtbudget für die Jahre 2021 bis 2030. Der Expertenrat als offizielles Prüfgremium aus fünf Wissenschaftlern sollte nun berechnen, ob das Gesamtbudget bis 2030 voraussichtlich eingehalten wird.
Schwache Konjunktur hat CO2-Ausstoß verringert
Dass dies nach Einschätzung des Prüfgremiums gelingen dürfte, liegt vor allem an zwei Faktoren. Zum einen gibt es insbesondere in der Energiewirtschaft deutliche Fortschritte bei der Reduktion von Treibhausgasen. Der beschleunigte Ausbau der Windkraft- und Solaranlagen hat dazu geführt, dass Kohlekraftwerke immer weniger am Netz sind. Die Energiewende kommt voran, was viele als Erfolg verbuchen dürften. Der zweite wichtige Faktor ist dagegen eher problematisch. Die schwache Konjunktur der letzten Jahre hat vor allem die Industrieproduktion und den Güterverkehr gebremst - was auch dazu geführt hat, dass dort weniger CO2 ausgestoßen wurde als erwartet.
Der Expertenrat spricht von einem angesammelten Puffer aus den letzten Jahren - also nicht ausgestoßene Treibhausgase, die sich positiv auf das Gesamtbudget der Jahre 2021 bis 2030 auswirken werde.
Verkehr- und Gebäudesektor bleiben Problembereiche
Der Expertenrat betont, dass die Sektoren Verkehr und Gebäude die eigentlichen Problembereiche bleiben würden. Im Straßenverkehr oder beim Heizen werden regelmäßig die CO2-Budgets überschritten - auch wenn sich der Expertenrat absehbar positive Effekte vom Heizungsgesetz verspricht.
Wenn das alte Klimaschutzgesetz noch in Kraft wäre, hätten die Zielverfehlungen in den Sektoren Verkehr und Gebäude Sofortprogramme notwendig gemacht. Die frühere Ampelkoalition hatte sich aber vor allem auf Druck der FDP darauf verständigt, das Klimaschutzgesetz zu reformieren. Nicht die einzelnen Sektoren sind nun der Maßstab, sondern das Gesamtbudget über alle Sektoren hinweg.
Mittelfristig dürften die Ziele verfehlt werden
Aus Sicht des Expertenrats muss die neue Bundesregierung verstärkt die Jahre ab 2030 in den Blick nehmen. Dann drohten erneut Zielverfehlungen - auch deshalb, weil der schlechte Zustand des Waldes dafür sorge, dass dieser derzeit keinen positiven Beitrag zur CO2-Bilanz leiste. Insgesamt drohe das Ziel der deutschen Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 außer Reichweite zu gelangen.
Mit Blick auf den Koalitionsvertrag beklagte der Expertenrat, dass dieser zu vage bleibe und keine nennenswerten positiven Impulse von ihm ausgehen würden. Die neue Bundesregierung ist laut Klimaschutzgesetz dazu verpflichtet, innerhalb eines Jahres ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, um die weiteren Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion aufzuzeigen. Der Expertenrat empfiehlt, dieses Programm auf die langfristige Perspektive auszurichten, um die Frage zu beantworten, wie Deutschland bis zum Jahr 2045 tatsächlich treibhausgasneutral wird.
Klimaziele im Einklang mit Wachstum
Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz hatte gestern in seiner ersten Regierungserklärung das Thema Klimaschutz nur am Rande erwähnt. Er betonte, dass seine Koalition an den deutschen, den europäischen und den internationalen Klimazielen festhalten werde. Dabei gelte es aber verstärkt, auf Fragen der Wettbewerbsfähigkeit zu achten.
Auch mit Blick auf den Koalitionsvertrag zeichnet sich ab, dass Schwarz-Rot keine Vollbremsung in der Klimapolitik hinlegen wird, aber eine Akzentverschiebung zu erwarten ist. Weniger kleinteilige Regelungen wie im Heizungsgesetz, stärkerer Blick auf die Bezahlbarkeit einzelnen Maßnahmen.
Merz betonte gestern auch, dass er vor allem auf den europäischen Emissionshandel setzt, der nach den EU-Plänen ab 2027 auch auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausgeweitet werden soll. Perspektivisch bedeutet das: Wer Treibhausgase verursacht, muss dafür zukünftig einen immer höheren Preis bezahlen. Das soll den technologischen Umstieg Richtung Nachhaltigkeit beschleunigen.
Schonfrist für Schwarz-Rot
Schwarz-Rot dürften noch einige Diskussionen bevorstehen, wie die Klimapolitik zukünftig konkret ausgestaltet werden soll - etwa, wenn es darum geht, dass bestehende Heizungsgesetz zu reformieren oder auch ganz abzuschaffen. Aus dem Koalitionsvertrag kann man beides herauslesen.
Aber Schwarz-Rot bleibt für diese Debatten noch etwas Zeit. Auch deshalb, weil der Expertenrat für Klimafragen mit seinem heutigen Prüfbericht den Handlungsdruck nicht weiter erhöht hat.