
Baden-Württemberg Betroffene von ME/CFS im Interview über ihre Krankheit - Demo macht auf Erschöpfungssyndrom aufmerksam
Aufmerksam machen auf das chronische Erschöpfungssyndrom. Am Samstag wurde in Stuttgart im Liegen demonstriert. Eine Betroffene beschreibt die Auswirkungen der Krankheit.
Katrina Janz hat ME/CFS, das chronische Erschöpfungssyndrom. Durch die Krankheit ist sie pflegebedürftig geworden. Ihre Schwester Annika Steinemann hat in Stuttgart am Samstag eine Liegend-Demo organisiert, um auf die Erkrankung und die Betroffenen aufmerksam zu machen. Denn nach wie vor fehlt es an Forschung, Unterstützung und Verständnis für die betroffenen Personen. Die Demos gibt es am Wochenende überall in Deutschland. Im Interview erzählen die Beiden, wie die Erkrankung ihr Leben verändert hat und was getan werden muss, um den Betroffenen zu helfen.
- einer schweren körperlichen Schwäche, die fast alle Aktivitäten erheblich einschränkt
- Symptomen wie Herzrasen, Schwindel, Blutdruckschwankungen, schmerzhaften Schwellungen an Lymphknoten sowie Muskel- und Gelenkschmerzen
- einer ausgeprägten Verstärkung aller Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung
SWR Aktuell: Frau Janz, vielen Dank, dass Sie die Kraft aufbringen, mit uns über Ihre Erkrankung zu sprechen. Können Sie beschreiben, wie es Ihnen gerade geht?
Katrina Janz: Jetzt im Moment bin ich etwas müde und erschöpft. Aber befinde mich grundsätzlich in einem besseren Zustand als noch vor ein paar Wochen oder Monaten. Worüber ich eigentlich schon sehr glücklich bin, muss ich sagen. Es ist sicher noch kein normales Leben gerade. Es ist noch weit davon entfernt. Aber ich leide aktuell nicht so extrem. Also meine Symptome haben sich reduziert in ihrer Häufigkeit, in ihrer Stärke. Und ich kann wieder ein paar einfache Dinge machen. Selbst essen und trinken, manchmal selbst zur Toilette gehen.
SWR Aktuell: Können Sie festmachen, wie Sie diese Verbesserung erzielt haben?
Janz: Ich lag jetzt die letzten acht Monate ungefähr komplett im Bett, im abgedunkelten Zimmer, konnte gar nichts mehr machen. Ich weiß nicht, was letztendlich geholfen hat. Ich habe ein paar Sachen umgestellt. Ganz simple Dinge wie Trinkmenge, viel meditiert, versucht, selbst meine ganz normalen Gedanken irgendwie zu kontrollieren, mich nur auf Atmung und so weiter zu fokussieren. Aber wir haben auch zwei Termine bekommen in der Long-Covid-Ambulanz in Heidelberg und in der ME/CFS-Ambulanz in Mannheim und haben mit Medikamenten angefangen, die jetzt eben nicht spezifisch für die Erkrankung gemacht sind. Aber mit denen man eben schon Erfolge mit erzielt hat in der Vergangenheit. Und ich denke, dass die bei mir schon auch einen Antrieb gegeben haben.
Chronisches Erschöpfungssyndrom: Man ist auf fremde Hilfe angewiesen
SWR Aktuell: Sie sind vor rund zwei Jahren nach einer CoVid-19-Infektion an ME/CFS erkrankt. Wie hat die Infektion Ihr Leben verändert und was hat es mit Ihnen gemacht, als Sie erfahren haben, dass Sie ME/CFS haben?
Janz: Also grundsätzlich würde ich noch kurz ergänzen, dass es wahrscheinlich nicht Corona war, was das ausgelöst hat. Also ich habe das schon weitaus länger, schon seit der Jugend, eventuell durch eine Impfung, vermuten wir jetzt. Aber diese Infektionen, gerade Corona, haben es eben immer wieder verstärkt. Es ist schwer, die Phasen alle in eine Schublade zu stecken. Denn in den letzten Jahren war ich auch schon sehr eingeschränkt. Aber jetzt das letzte Jahr war halt dann wirklich noch mal was ganz anderes. Dieses Eingesperrt-Sein im Zimmer, das Haus gar nicht mehr verlassen zu können, das Bett nicht mehr verlassen zu können, so extrem auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Ich konnte ja wirklich gar nichts mehr allein. Auch dass man nicht mehr kommunizieren kann, also nicht mehr mitteilen kann, wie es einem geht. Das ist einfach, glaube ich, für die meisten Menschen unvorstellbar. War es für mich vorher auch. Ich muss im Nachhinein sagen: Es waren Höllenqualen. Es war wirklich unvorstellbar schlimm.
Es waren Höllenqualen. Katrina Janz, ME/CFS-Patientin
SWR Aktuell: Im März 2023 haben Sie die Diagnose bekommen. Wie ging es Ihnen damit, endlich eine Diagnose zu haben? Wie ging es dann auch der Familie damit, die Krankheit bennenen zu können?
Janz: Annika hat das Ganze eigentlich ins Rollen gebracht. Sie hatte mir berichtet, wie die Erkrankung aussieht und dass es zu meinen Symptomen passt. Wir haben gemeinsam erste Berichte von Betroffenen gelesen. Und ich habe direkt geweint, weil ich dann wusste: Jetzt weiß ich endlich, was ich habe. Also es war, als würde ich mein Tagebuch lesen. Und es war auch total überfordernd, weil ich jahrelang dachte, ich wäre depressiv oder hätte eine somatische Störung, weil das eben immer wieder gesagt wurde. Es war eine Mischung aus Erlösung und Schock.
Annika Steinemann: Ja, mir ging es ähnlich, dass erstmal so ein Momente der Erleichterung da war. Wir haben endlich was gefunden, und da passt alles. Die Kriterien stimmen überein, und gleichzeitig liest man immer mehr und bekommt so mit, was diese Krankheit eigentlich bedeutet. In diesem Moment war Katrina ja noch in einem Zustand, in dem sie zumindest noch mal ab und zu draußen war. Irgendwo druaßen mal einen Kaffee trinken konnte oder so. Und da liest man, was da noch kommen könnte. Das hat natürlich große Angst ausgelöst. Gleichzeitig war es familiär so, dass viele, weil sie diese schlimmen Dinge gelesen haben, das nicht so richtig wahrhaben wollten und das eher verdrängt haben. Oder unsere Familien-Mitglieder haben nach anderen Dingen gesucht und hatten die Hoffnung, dass das bestimmt bald besser wird.

Annika Steinemann (links) und Katrina Janz auf der Hochzeit von Katrina Janz. Die Hochzeit fand kurz vor der Diagnose statt. Sie war das letzte gemeinsame Erlebnis der Schwestern außerhalb der Wochnung.
SWR Aktuell: Frau Steinemann, Sie haben viel Verständnis für die Erkrankung Ihrer Schwester. Aber ich kann mir vorstellen, dass da auch kritische Kommentare kommen, weil viele die Krankheit nicht kennen. Warum ist es denn so schwer für andere zu verstehen, woran man leidet?
Katrina Janz: Mir fällt direkt ein, dass es nichts Greifbares gibt. Ich glaube, das ist wie mit Depressionen auch. Wenn man was nicht messen kann, dann fällt es Menschen auch schwerer, das zu glauben. Und das ist natürlich auch manchmal der einfachere Weg, wenn man sich gar nicht weiter damit befassen muss. Auch als Arzt dann zu sagen: Ach, das ist Ihre Psyche und einen einfach weiterzuschicken.
Liegend-Demo in Stuttgart soll Aufmerksamkeit schaffen
SWR Aktuell: Frau Steinemann, Sie organisieren jetzt diese Liegend-Demo mit. Wie kam es denn dazu? Und warum demonstrieren Sie im Liegen?
Annika Steinemann: Ich bin zu dieser Initiative gekommen, dadurch, dass ich gemerkt habe, ich kann meiner Schwester nicht richtig helfen. Ich kann zwar für sie da sein, ich kann sie besuchen, aber ich kann nicht viel tun, dass es ihr besser geht. Und das war so eine Möglichkeit, an einem anderen Ort wirksam zu sein. Die Liegend-Demo wurde von selbst Betroffenen ins Leben gerufen. Dieser Liegend-Teil soll den Zustand der Betroffenen widerspiegeln, die eben zum großen Teil zu Hause liegen müssen und nicht laut sind und durch die Straße gehen und ihre Parolen schreien, sondern im Stillen einsam sind.
SWR Aktuell: Wollen Sie damit auch mehr Aufmerksamkeit auf das Krankheitsbild lenken?
Annika Steinemann: Genau, das ist auf jeden Fall ein Ziel, und deshalb versuchen wir auch auf allen Kanälen dafür zu werben, weil wir so oft Menschen begegnen, die die Krankheit nicht kennen. Auch Ärzte kennen zum großen Teil die Krankheit nicht. Man muss immer wieder von vorne anfangen und erklären, was man eigentlich hat, obwohl es einem eh schon nicht gutgeht. Und ich glaube es braucht jetzt noch viele solcher Aktionen, bis sich das wirklich mehr herumspricht.
SWR Aktuell: Im Moment gibt es keine Therapiemöglichkeit. Haben Sie Beide Hoffnung, dass sich in Zukunft was daran ändert?
Steinemann: Ja, auf jeden Fall. Es gibt schon viele Ansätze. Andere Länder sind da auch schon ein bisschen weiter. Aber solange gar kein Geld explizit für diese Krankheit da ist, das in die Forschung investiert wird, passiert natürlich auch nichts.
Janz: Es gibt auch ein paar Rückschritte. Die Heidelberger Long-Covid-Ambulanz wurde Ende Dezember geschlossen. Ich hatte da glücklicherweise Anfang Dezember noch einen Termin. Aber da fragt man sich schon, ob das in die richtige Richtung geht und warum man da nicht weiter dranbleibt.
SWR Aktuell: Was wünschen Sie sich denn von der Politik?
Steinemann: Erstmal das Gefühl, dass sie einen im Blick haben. Also einfach zu sehen, die Thematik taucht in Koalitionsverträgen auf, in Parteiprogrammen. Dass das bewusst ist, es gibt diese Krankheit, und wir müssen da was tun. Wir haben jetzt für die Demonstration über 200 Politikerinnen und Politiker angeschrieben, die entweder im Landtag sind oder im Gemeinderat in Stuttgart und haben jetzt zwei positive Antworten bekommen. Alle anderen haben abgesagt. Sie haben zwar auch kundgetan, dass sie verstehen, dass das wichtig ist. Aber man würde sich einfach wünschen, dass da noch mehr kommt.
Diemeisten sind ja berufsunfähig. Irgendwann gibt es kein Krankengeld mehr. Es müssen tausende Anträge gestellt werden, Pflegestufe, Behinderungsgrad,... - was ja jemand in der Situation allein gar nicht schaffen kann. Und dann ist es oft noch so, dass diese Anträge abgelehnt werden oder die Pflegestufe viel zu niedrig angesetzt wird. Weil auch die Gutachter die Krankheit nicht gut genug kennen. Es sind sehr viele bürokratische Hürden da, die abgebaut werden sollten.
SWR Aktuell: Vielen Dank für Ihre Zeit und Kraft.