
Bayern Handwerker-Notdienste: Wenn vermeintliche Hilfe teuer wird
In Regensburg müssen sich Verantwortliche eines Handwerker-Vermittlungsdienstes in einem Mammutprozess verantworten. Ihnen wird Betrug vorgeworfen. Indes lassen neue Ermittlungen in der Branche aufhorchen. Laufen solche Geschäfte weiter?
Am meisten habe sie sich über sich selbst geärgert. So erzählt es Inge Herkenrath heute, wenn sie an einen Vorfall zurückdenkt, der inzwischen schon einige Jahre zurückliegt. Bei ihr zu Hause fiel damals der Strom aus, sie kontaktierte einen Handwerker-Vermittlungsdienst und öffnete schließlich zwei Monteuren die Tür. Am Ende war sie 2.104,09 Euro los. So viel verlangten die Handwerker für das Wechseln von sieben Sicherungen. Arbeitszeit: zwei Stunden. "Ich war nur so froh, dass der Strom wieder da war. Irgendwie hat dann, glaube ich, der logische Verstand ausgesetzt", schildert Herkenrath.
Wer heute mit ihr spricht, der merkt sofort: Der logische Verstand ist längst wieder da. Einen Zivilprozess gegen die Monteure hat Herkenrath gewonnen, einen Großteil der Summe zurückerhalten. "Das Geschäftsmodell des Beklagten ist auf Wucher und Betrug angelegt", urteilte die Richterin. Jetzt wartet Inge Herkenrath darauf, vor dem Landgericht Regensburg als Zeugin auszusagen. Ihr Fall ist "Fall 192" in einem Mammutverfahren. Seit Februar läuft ein Strafprozess gegen vier Angeklagte. Mehr als 40 Verhandlungstage sind angesetzt.
"Der Handwerker-Engel"
Die vier Angeklagten sollen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Verantwortlichen hinter einem Call-Center gewesen sein, das unter anderem als "Der Handwerker-Engel" firmierte. Über Jahre sollen von Regensburg aus unseriöse Monteure zu Kunden in ganz Deutschland geschickt worden sein: beispielsweise Schlüsseldienste, Schädlingsbekämpfer oder Elektromonteure – wie im Fall von Inge Herkenrath.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vollendeten und versuchten Betrug sowie Wucher vor. Teilweise hätten die Handwerker aus Sicht der Ermittler viel zu hohe Preise abgerechnet und bei stornierten Aufträgen zu Unrecht Rechnungen gestellt.
Kunden aus ganz Deutschland
Das Call-Center, das als "Handwerker-Engel" firmierte, kam über das Internet an Kunden in ganz Deutschland. Mit Werbeanzeigen und Internetseiten, die den Kunden vortäuschen sollten, dass sie bei Betrieben in ihrer Nähe anrufen, so die Staatsanwaltschaft. Tatsächlich kamen nach Ansicht der Ermittler aber keine örtlichen Fachbetriebe, sondern fliegende – teils schlecht ausgebildete – Monteure, die mitunter über hundert Kilometer Anfahrt hatten.
Hauptangeklagter weist Vorwürfe zurück
Der Hauptangeklagte weist in diesem Zusammenhang die Vorwürfe von Wucher und Betrug zurück. Sein Anwalt Michael Haizmann erklärt im BR-Interview, die Preise seien in den meisten Fällen angemessen gewesen, da es sich um Notdienste gehandelt habe und teilweise aufwändige Arbeiten verrichtet worden seien. Zudem habe das Call-Center täglich im Schnitt über 300 Aufträge angenommen. Nur in einem Prozent der Fälle gab es laut dem Anwalt Probleme.
Während das Call-Center laut Anwalt Haizmann die Aufträge vermittelte, kassierten die Monteure in der Regel vor Ort. Ein Großteil von ihnen arbeitete selbstständig und auf eigene Rechnung und zahlte eine Vermittlungsprovision.
Ehemaliger Mitarbeiter packt aus
Diese Praxis bestätigt auch ein ehemaliger Angestellter des Call-Centers, der im Prozess als Zeuge ausgesagt hat. Er ist zu einem Interview mit dem BR bereit, besteht aber darauf, anonym zu bleiben. Obwohl es auch sehr gute Handwerker gegeben habe, seien die vermittelten Monteure in vielen Fällen komplett unfähig gewesen, berichtet er: Einmal habe ein Heizungs-Monteur einen Keller mit Öl geflutet und dabei auch noch geraucht.
Eignung nicht geprüft
Die Verteidigung des Hauptangeklagten räumt ein, dass die Eignung von Kooperationspartnern in der Regel nicht überprüft wurde. Man habe sich stattdessen auf deren eigene Angaben verlassen. Unfähige Monteure seien bei gehäuften Beschwerden aber gesperrt worden und in einem internen Ranking-System schlechter bewertet worden, was zu weniger Aufträgen für sie geführt habe.
Dieses Ranking-System sei zwar generell richtig, sagt der Zeuge. Es habe aber auch überhöhte Preise begünstigt. Durch das Ranking seien Monteure mit hohen Umsätzen bei der Auftragsvergabe bevorzugt worden. Das habe wiederum bei anderen Monteuren Druck erzeugt, beim Kunden mehr als üblich zu verlangen, um über ein besseres Ranking an mehr Aufträge zu kommen, sagt er.
Druck durch Provisionszahlungen?
Teilweise mussten die selbstständigen Monteure 50 Prozent und mehr an das Call-Center als Vermittlungsprovision abdrücken. Auch das habe dazu geführt, dass manche bei den Kunden kräftig zugelangt haben, so der Zeuge. Michael Haizmann, Anwalt des Hauptangeklagten, bestreitet dagegen, dass das seinem Mandanten anzulasten ist. Kooperationspartner hätten im Vorfeld entscheiden können, ob sie die Dienste der Vermittler in Anspruch nehmen oder nicht.
Betrug und Wucher? Neue Ermittlungen laufen
Wie das Gericht die Frage der Strafbarkeit beantwortet, bleibt abzuwarten. Der Prozess läuft wohl bis Oktober. Indes lassen neue Ermittlungen der Regensburger Staatsanwaltschaft aufhorchen: Im Fokus ist der Geschäftsführer einer der Stadt ansässigen Firma. Auch Verbraucherschützer berichten von Beschwerden über die Firma "Seibel GmbH und Co KG". Sie stellt nach eigenen Angaben unter anderem den Kontakt zu Schlüsseldiensten, Rohrreinigern oder Schädlingsbekämpfern her, betont aber auf ihrer Webseite "Seibel 365.de" mehrfach, dass Handwerker lediglich vermittelt werden. Eine Anfrage zu den Vorwürfen blieb unbeantwortet.
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Quelle: Der Funkstreifzug 14.05.2025 - 12:15 Uhr